15 Jahre www.farc.de - der Wandel einer Internetseite

von Ulrich Künzel (2017)

Als am 16.Juli 2001 ich zusammen mit meinem Bruder und einem Freund, die sich beide auf einem Ferienbesuch bei mir und meiner Frau befanden, in der Gemeinde Silvia (Cauca) von einer bewaffneten Gruppe gefangen genommen und in eine Scheune hoch in den Bergen gebracht wurde, wusste ich nicht, dass es sich um eine Einheit der Farc handelte.

Während unserer Gefangenschaft lernten wir unsere Bewacher etwas kennen. Ich hatte die Sekundarschule in der DDR durchlaufen und kenne mich gut aus in marxistischer und sozialistischer Theorie, musste aber feststellen, dass die uns bewachende Farc-Truppe über keinerlei Kenntnisse in dieser Materie verfügte. Stattdessen prahlten sie von ihren "Heldentaten": Schießereien, Morden und Raubzügen. Wir drei Gefangenen, in Deutschland alle der Linken zugehörig, lernten die Farc als Räuberbande kennen.

Meinem Bruder gelang nach etwa zwei Monaten die Flucht, und dank der Hilfe des Cabildos von Pitayó gelangte er nach Popayán. Mein Freund und ich wurden am 11.Oktober 2001 dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz übergeben.

Zurück in Deutschland, gingen wir an die Aufarbeitung unserer Erfahrungen. Es wurde uns zu einem besonderen Anliegen, dass große Teile der europäischen Linken noch immer von Kolumbien das Bild einer Diktatur und von der FARC das Bild einer für die breiten Volksmassen kämpfenden Befreiungsbewegung mit "Robin-Hood-Image" hatten.

Wir beschlossen, mit unseren bescheidenen Mitteln daran mitzuwirken, das wahre Gesicht der Farc den Interessierten in Deutschland zu zeigen. Wenig später, im Frühjahr 2002 leistete jedoch die Farc selbst mit der Entführung der Präsidentschaftskandidatin der kolumbianischen Grünen, Ingrid Betancourts, einen viel wirksameren Beitrag zu ihrem fast totalen Gesichtsverlust bei der gesamten europäischen Linken.

Ingrid Betancourt wurde, wie auch der frühere Gouverneur von Nariño Luis Eladio Pérez, viele Jahre von der Farc gefangen gehalten. Luis Eladio Pérez kannte ich persönlich, denn während seiner Amtszeit als Gouverneur leitete ich das deutsche Beraterteam bei Corponariño in Pasto.
Wir erwarben zunächst die Rechte an der Domain www.farc.de, um zu verhindern, dass Farc oder ANNCOL sich dieser bemächtigen konnten.

Um die Jahreswende 2001/2002 begannen wir, über das Internet wichtige Zeitungen und Magazine aus Kolumbien regelmäßig auszuwerten auf der Suche nach Nachrichten über die Farc und mit ihr zusammenhängende Ereignisse. Hinzu kam die Beobachtung deutscher und spanischer Presseorgane sowie Radio- und Fernsehsendungen. Die Beiträge wurden ins Deutsche übersetzt und ins Netz gestellt, denn unsere Zielgruppe war das deutsche interessierte Publikum.

Wenn man sich heute den Inhalt der ausgewählten Meldungen in den ersten zehn Jahren des Bestehens der Internetseite betrachtet, dann stellt man fest, dass nahezu ausschließlich über Schandtaten der Farc in Form von Attentaten, Entführungen oder Vertreibungen berichtet wird. Auch wenn keine Pressauswertung betrieben wurde, die wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden wollte, so ist diese Tendenz der Tatsache geschuldet, dass die Farc in jener Zeit offenbar gar nicht daran interessiert war, in Kolumbien und der Welt ein positives Bild abzugeben.

Etwa um 2010 begann sich das Bild langsam zu wandeln, als immer wieder Nachrichten verbreitet wurden, es gebe Kontakte zwischen Farc und Regierung, die zur Aufnahme von Friedensverhandlungen führen könnten.

So begann sich der Inhalt unserer Internetseite langsam zu wandeln: Statt nur von Mord und Totschlag wurde immer wieder, erst sehr zögernd, aber mit der Zeit zunehmend, über Friedenshoffnungen berichtet, bis schließlich seit im November 2012 die Verhandlungen endlich begannen, zwar noch immer über Erfolge und Rückschläge zu berichten war, aber diese fanden am Verhandlungstisch und nicht mehr auf dem Schlachtfeld statt.

So hat der Verlauf der Ereignisse unsere Internetseite von einem Ort der Darstellung des Schreckens zu einem Ort der Hoffnung und der Anstrengungen beider Seiten, Frieden zu schließen, werden lassen. Das hat die Arbeit an der Internetseite in den letzten Jahren für die Betreiber erfreulicher gemacht und sie eher beflügelt.

Wir haben uns die Frage gestellt, ob mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens am 26. September 2016 die Aufgabe, die wir uns mit dieser Internetseite im Jahr 2001 gestellt hatten, jetzt nicht beendet sei. Aber wir kamen zu dem Schluss, dass es jetzt, wenn es an die Umsetzung der Vereinbarungen geht, erst so richtig spannend wird. Also werden wir weiter beobachten, welche Nachrichten aus und über Kolumbien Platz auf www.farc.de finden sollen.

Wir wissen, dass der schwerste Teil der Schaffung eines dauerhaften Friedens den Kolumbianern noch bevorsteht. Joaquín Villalobos, Ex-Kommandeur der Guerrilla FMLN in El Salvador hat vor einigen Wochen in einem Gastbeitrag für die kolumbianische Presse darauf hingewiesen, dass eine völlig polarisierte politische Öffentlichkeit verhindert hat, dass in El Salvador wirklich Frieden einkehren konnte, obwohl das Friedensabkommen von beiden Seiten eingehalten wurde.

Als Freund Kolumbiens hoffe ich, dass die so aktive kolumbianische Zivilgesellschaft auch hier vorhandene Tendenzen zur politischen Polarisierung überwindet und Frieden schafft.

Wir freuen uns darauf, den interessanten, langen und herausfordernden Weg, den Kolumbien von heute an gehen muss, mit unserer Internetseite noch ein ganzes Stück zu verfolgen.

Weiterführende Artikel:
Chronologie
Vorwort / Warum diese Seite?
Die Entführung
Tagebuch

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